Ausbildung

"Wir müssen uns am Pferd orientieren, statt es in Schablonen zu pressen"
 (Notizen einer Lehrdemonstration mit Wolfram Wittig und Isabell Werth)
Über dreißig Turnierpferde hat Wolfram Wittig im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte selbst gezogen; elf davon konnte er gemeinsam mit seiner Frau Brigitte bis zur Grand-Prix-Reife fördern – kein Wunder, dass er immer wieder eingeladen wird, seine Arbeit im Rahmen von Lehrdemonstrationen vorzustellen. Gemeinsam mit Isabell Werth und ihren Bereitern begeisterte das Team Wittig bereits zweimal im Rahmen des Aachener CHIO vor ausverkauften Rängen mit einer solchen Ausbildungsstunde; eine weitere Veranstaltung folgte im März 2009 im großen Ring der Equitana. Während Isabell Werth das Geschehen jeweils vom Sattel aus kommentierte, lieferte Wittig vom Rand des Vierecks aus die Philosophie dazu.

"Die Arbeit muss leicht von der Hand gehen, um so länger hat man Freude an seinem Pferd", war sein Leitsatz, der sich durch die einstündige Demonstration auf der Equitana zog, die den Ausbildungsweg von der vierjährigen Remonte bis hin zum Grand-Prix-Pferd anriss. Ein schwungvoller Trab und ein kadenzierter Galopp, so Isabell Werth, seien die ersten Auswahlkriterien für ein junges Pferd; hinzu kommen Elastizität und ein gutes Reaktionsvermögen. Dieses demonstrierte der vierjährige Lord-Loxley-Sohn Lezard zum Beispiel, als er eine Galoppdiagonale prompt mit einem fliegenden Wechsel beendete. "Meiner Erfahrung nach lernen die meisten Pferde besser erst den Wechsel und dann den Außengalopp." Während sie Lezard dann – stets im Leichttraben – versuchsweise in Richtung halbe Tritte zurücknahm, betonte Wolfram Wittig, dass auch die Versammlung nur über die Lösung zu erarbeiten ist.

"Im Unterschied zum Springsport muss das Dressurpferd lernen, sich auszubalancieren, ohne den Hals zu sehr einzusetzen. Wir müssen die Hinterhandsmuskulatur so stärken, dass die Kraft zur Selbsthaltung entwickelt wird. Auf dem Weg dahin müssen wir es jungen Pferden verzeihen, wenn sie einmal zu eng werden."

Von Stefan Krawczyk auf Veranstaltungen wie die Weltmeisterschaft der Jungen Pferde angesprochen, mahnte Wittig dazu, ein solches Ziel nur anzustreben, wenn das Pferd wirklich reif dafür ist. "Wir dürfen unsere Pferde nicht in eine Schablone pressen – mit fünf muss es dies können, mit sechs Jahren das. Letztlich muss die Erfahrung des Reiters entscheiden, ob ein Pferd wirklich schon so weit ist."

Auch die Frage nach der Bedeutung der Abstammung beantwortete Wittig gelassen: "Das Sprichwort, das besagt, dass man auf dem Papier nicht reiten kann, hat Recht. Wichtig ist am Ende nur, dass das Pferd die Points mitbringt, die es für den Sport braucht."

 

Unterdessen waren sowohl Isabell Werth als auch Brigitte Wittig auf siebenjährigen Pferden in der Arena unterwegs. Während Bertoli W, im Vorjahr Finalist der WM der Jungen Dressurpferde, gelassen und souverän die Lektionen der Schweren Klasse zeigte, illustrierten Isabell Werth und Don Johnson eine weitere mögliche Hürde auf dem Weg in den großen Sport: Zwar beherrscht der ganggewaltige Don-Frederico-Sohn die fliegenden Wechsel, doch immer, wenn er weiß, dass ein solcher Wechsel bevorsteht, packt ihn der Übereifer. "Dressur ist Kommunikation zwischen Reiter und Pferd", so Wolfram Wittig. In einem Fall wie diesem kommt es nun darauf an, diese Kommunikation in die richtige Richtung zu lenken. "Zunächst habe ich als Reiter dem Pferd zugehört, wann es bereit für den Wechsel war. Jetzt muss er lernen, mir zuzuhören und den Wechsel auf meine Hilfe zu springen", so Isabell Werth.
Dann zeigten beide Reiterinnen Übergänge vom Schritt zu halben Tritten. Wolfram Wittig: "Das ist ein Vabanque-Spiel, bei dem es gilt, den Schritt nicht zu ruinieren. Der Schritt ist ohnehin die kritischste Gangart. Hier gilt es in der Ausbildung immer, den Schritt zu erhalten, den das junge Pferd mitbringt. Einen schlechten Schritt zu verbessern, ist eigentlich kaum möglich."

 

Was er von Handarbeit zum Erlernen der Piaffe hält? "Handarbeit und Reiten können sich prima ergänzen. Auch hier muss das Kriterium einfach immer das Pferd sein."

Und auch auf die halben Tritte folgte schließlich immer wieder der (er)lösende Trab. Wolfram Wittig: "Wir dürfen nicht vergessen, dass das Pferd ein Fluchttier ist – im Gegenteil, wir müssen uns diesen Instinkt zunutze machen, indem wir alles immer nach vorn auflösen. Wenn wir uns immer am Pferd orientieren, kann die Dressur tatsächlich die 'Gymnastizierung zum Zweck der Gesunderhaltung' sein, wie sie nicht nur in der grauen Theorie der Lehrbücher gefordert wird, sondern auch im Alltag möglich ist."

 

Siehe hierzu auch: Wikipedia: Klassische Reitkunst